Für Händler, die analoge und vor allem digitale Produkte an Verbraucher verkaufen, gelten ab 1. Januar 2022 neue Pflichten. Unter anderem kommen auf Verkäufer Update-Verpflichtungen für Produkte mit digitalen Komponenten, verschärfte Gewährleistungsregeln, eine verlängerte Beweislastumkehr und eine neue Definition des Sachmangelbegriffs zu. Was das neue Kaufrecht 2022 im Einzelnen beinhaltet und welche To-do-Punkte sich für Unternehmen daraus ergeben, beleuchtet dieser Artikel.
Kaufrecht wird an die Anforderungen der digitalen Wirtschaft angepasst
Im Juni 2021 hat der Bundestag zwei neue Regelungen verabschiedet, die jeweils ab Januar 2022 greifen:
- Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags
- Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen
Damit werden zwei neue EU-Richtlinien zum Warenverkauf und zum Vertragsrecht in Deutschland umgesetzt. Ziel dieser Richtlinien ist ein harmonisiertes Kaufrecht innerhalb der EU - besonders im Bereich von Produkten mit digitalen Funktionen. Auswirkungen hat dies hierzulande vor allem auf das Verbrauchsgüterkaufrecht, doch auch auf das allgemeine Kaufrecht (hier insbesondere beim Sachmangelbegriff).
Die wichtigsten neuen Begriffe im Überblick
Das Kaufrecht unterscheidet in Zukunft folgende Arten von Waren:
- digitale Produkte (§ 327 BGB n. F.): Überbegriff für digitale Inhalte (z. B. Software und Mediendateien) und digitale Dienstleistungen (z. B. Messenger-Dienste und Social-Media-Plattformen)
- Waren mit digitalen Elementen (z. B. Smart-TVs, Smart-Home-Produkte, Smartphones und Smartwatches)
- analoge Waren: Waren ohne digitale Elemente
Die wichtigsten Änderungen im neuen Kaufrecht 2022 in der Zusammenfassung
Bevor wir ins Detail gehen, möchten wir die wesentlichen Änderungen des Kaufrechts ab 2022 in übersichtlicher Form darstellen. Dies sind die wichtigsten Punkte:
Änderung im Kaufrecht | Wichtig für | Grober Inhalt |
Neuer Begriff des Sachmangels | alle Unternehmen | mängelfrei ist eine Sache nur noch, wenn sie neben objektiven nun auch subjektiven Anforderungen entspricht |
Neue Vertragsart: Verbrauchervertrag über digitale Produkte | Verkäufer von digitalen Produkten | spezielles Verbrauchsgüterkaufrecht für digitale Produkte mit eigenem Gewährleistungsrecht |
Aktualisierungspflicht für Waren mit digitalen Elementen | Verkäufer von Waren mit digitalen Elementen und Verkäufer von digitalen Produkten | Update-Pflicht, die sicherstellen soll, dass Produkte langfristig funktionsfähig und sicher bleiben |
Verschärftes Gewährleistungsrecht | alle Unternehmen | Entbehrlichkeit der Fristsetzung (bei Rücktritt, Minderung und Schadensersatz), Ablaufhemmung bei der Verjährung, Verlängerung der Beweislastumkehr, Verschärfung für Garantieerklärungen |
Betrachten wir diese Punkte im Folgenden genauer.
Neuer Sachmangelbegriff
Ein Schwerpunkt des neuen Kaufrechts ist die neue Definitions des Begriffs „Sachmangel“ in § 434 BGB-NEU. Dieser Paragraph bestimmt zukünftig, wann eine Kaufsache mangelhaft ist und wann Verbraucher somit Mängelrechte geltend machen können. Frei von Sachmängeln ist eine Kaufsache demnach, wenn sie bei Gefahrübergang den
- subjektiven Anforderung,
- objektiven Anforderungen und
- Montageanforderungen
in § 434 BGB-NEU entspricht.
Anders als in den bis Ende 2021 geltenden Regelungen kann eine Sache auch dann mangelhaft sein, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit besitzt - also die subjektiven Anforderungen erfüllt. Wurde keine subjektive Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, spielen die objektiven Anforderungen jedoch (wie bisher) eine Rolle. Doch was bedeutet das für Händler konkret?
Diese Anforderungen muss eine Kaufsache erfüllen
Um die subjektiven und objektiven Anforderungen zu erfüllen, müssen Verkäufer sicherstellen, dass ihre Kaufsache hinsichtlich Menge, Qualität und sonstiger Merkmale folgende Eigenschaften hat:
- Sache ist für gewöhnliche Verwendung geeignet
- Sache ist so beschaffen wie Kaufsachen derselben Art
- Beschaffenheit ist so, wie es der Käufer erwarten kann
- Ware muss verpackt, mit Zubehör und Anleitungen übergeben werden
Wer die Anforderungen künftig einhalten möchte, muss also fortlaufend überprüfen, ob seine Waren noch der „üblichen“ Beschaffenheit entsprechen. Dies betrifft insbesondere die Sicherheit, Kompatibilität, Funktionalität und Haltbarkeit der Produkte. Sicher wird es unterschiedliche Meinungen geben, was unter einer branchen- oder produktüblichen Beschaffenheit zu verstehen ist. Die Zeit wird zeigen, wie diese Regelung auszulegen ist.
Negative Beschaffenheitsvereinbarung: Vorsicht bei B-Ware und gebrauchten Artikeln
Eine Herausforderung wird der neue Sachmangelbegriff für Händler, die B-Ware, Ausstellungsstücke, gebrauchte Ware oder Vorführgeräte verkaufen. Denn sie können die negative Beschaffenheit (z. B. Gebrauchsspuren) nicht mehr wie bisher vereinbaren, indem sie diese Eigenschaften auf der Ausschilderung oder in der Produktbeschreibung nennen. Vielmehr sind negative Beschaffenheitsvereinbarungen gemäß neuem Kaufrecht nur noch zulässig, wenn der Verbraucher vor dem Vertragsabschluss „eigens“ darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein Merkmal eines Produkts von den objektiven Anforderungen abweicht. Die Abweichung muss zudem ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Eine Regelung über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder den Formularvertrag ist somit nicht möglich. Ebenso ist im Online-Handel ein vorangekreuztes, deaktivierbares Kästchen nicht ausreichend.
Neue Vertragsart: Verbrauchervertrag über digitale Produkte
Mit den neu eingefügten §§ 327 ff. BGB n. F. entsteht eine neue Art von Vertrag: der sogenannte Verbrauchervertrag über digitale Produkte. Somit verfügt das BGB ab 01. Januar 2022 über ein spezielles Kaufrecht für digitale Produkte (z. B. Software, Webanwendungen, E-Books, Streaming-Dienste etc.). Dies beinhaltet auch ein eigens hierfür angepasstes Gewährleistungsrechts. Die Abgrenzung zum allgemeinen Kaufrecht richtet sich hierbei nach den neu hinzugefügten Verbrauchsgüterkaufregelungen gemäß § 475a BGB n. F.. Anwendbar ist das neue Recht für alle digitalen Produkte - unabhängig davon, ob sie online oder via Datenträger an den Verbraucher übermittelt werden. Die wichtigsten sich daraus ergebenden Änderungen sind die folgenden:
- Unternehmen müssen eine mangelfreie Leistung erbringen (umfassende Gewährleistungsrechte wie bei analogen Waren)
- Verbraucher haben bei Mängeln einen Anspruch auf Nacherfüllung (Beseitigung des Mangels, beispielsweise durch Nachbesserung oder nochmalige Bereitstellung des digitalen Produkts)
- Verbraucher haben bei Mängeln das Recht zur Minderung und Vertragsbeendigung
- Die Gewährleistungsfrist muss mindestens zwei Jahre betragen
- Update-Pflicht (siehe nächster Abschnitt)
Aktualisierungspflicht für Waren mit digitalen Elementen
Sowohl für rein digitale Produkte als auch für Waren mit digitalen Elementen erweitert das neue Kaufrecht ab 2022 den Sachmangelbegriff um eine sogenannten Aktualisierungspflicht. Grob gesagt bedeutet das: Es stellt einen Sachmangel dar, wenn Verbrauchern keine Updates bereitgestellt werden.
Im Detail sind die objektiven Anforderungen an die Mangelfreiheit künftig nur noch dann erfüllt, wenn der Verkäufer innerhalb der üblichen Nutzungsdauer des Produkts Aktualisierungen bereitstellt und den Verbraucher darüber informiert. Das heißt: Für einen nicht näher bestimmten Zeitraum müssen Händler selbst dann bestimmte Updates zur Verfügung stellen, wenn dies nicht vertraglich vereinbart wurde. Laut Gesetzgeber betrifft dies vor allem Aktualisierungen, welche die Funktionsfähigkeit und die (IT-)Sicherheit des Produkts gewährleisten. Upgrades (Funktionsverbesserungen) schuldet der Verkäufer allerdings nicht.
Aus der relativ ungenauen Definition des neue Kaufrechts ergeben sich mehrere Unsicherheiten. So bleibt die Dauer der Aktualisierungspflicht unklar. Laut Gesetzgeber soll sie sich nach den „Erwartungen des Verbrauchers“ richten. Insofern bleibt Verkäufern nur, auf Anhaltspunkte wie Werbeversprechen, Qualität der verarbeiteten Materialien, Preis oder Analysen der üblichen Verwendungsdauer („Produktlebenszyklus“) zurückzugreifen.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass der Verkäufer in den seltensten Fällen auch gleichzeitig der Hersteller des Produkts ist. Er ist bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aktualisierungspflicht also dringend auf die Mitwirkung des Herstellers angewiesen. Beide Seiten sollten ihre bestehenden Verträge in diesem Punkt also anpassen, um abgesichert zu sein.
Gestärkte Gewährleistungsrechte für Verbraucher
Ab 2022 erhalten Verbraucher stärkere Gewährleistungsrechte beim Mangel einer Sache. Dies gilt unabhängig von der Art des Produkts - also auch für analoge Waren. Wichtig sind insbesondere folgende Punkte:
Fristsetzung in vielen Fällen entbehrlich
Bisher mussten Käufer dem Verkäufer bei Mängeln eine Frist zur Nacherfüllung (Behebung des Mangels) setzen. Erst, wenn diese ergebnislos verstrichen war, hatten sie das Recht vom Vertrag zurückzutreten, den Preis zu mindern oder Schadensersatz zu verlangen. Im neuen Kaufrecht ist diese Fristsetzung nicht mehr erforderlich. Vielmehr läuft die Frist „automatisch“ ab der Mitteilung des Mangels durch den Verbraucher an den Verkäufer. Ist diese (fiktive) angemessene Frist (geregelt in § 475d I Nr. 1 BGB) abgelaufen und der Unternehmer hat nicht nacherfüllt, ist der Verbraucher zum Rücktritt berechtigt.
Ablaufhemmung bei der Verjährung von Gewährleistungsansprüchen
Im neuen Kaufrecht verjähren Mängelansprüche beim Warenkauf nach wie vor nach zwei Jahren ab der Ablieferung einer Sache. Anders als noch in 2021 gibt es ab 2022 jedoch eine neue Regelung der Verjährung. Demnach verjähren Gewährleistungsansprüche erst nach Ablauf von zwei Monaten nach dem erstmaligen Auftreten des Mangels. Zeigt sich ein Mangel beispielsweise am letzten Tag der zweijährigen Gewährleistungsfrist, so läuft sie noch zwei Monate weiter. Verkäufer sollten sich daher auf eine faktische Gewährleistungszeit von 26 Monaten einstellen.
Verlängerung der Beweislastumkehr
Bislang wurde im Kaufrecht zugunsten des Verbrauchers sechs Monate lang vermutet, der Mangel habe bereits bei Gefahrenübergang einer Sache vorgelegen. Dieser Zeitraum wird ab 2022 auf zwölf Monate ausgedehnt. Verkäufer müssen im B2C-Geschäft künftig also ab Übergabe ein ganzes Jahr lang beweisen, dass die Kaufsache mangelfrei war. Hierdurch wird die Anzahl der Gewährleistungsfälle steigen und Händler müssen sich auf zusätzliche Kosten einstellen. Mittelfristig sollte dies in die Preiskalkulation einfließen.
To-do-Punkte für Unternehmen bis zum Jahresende 2021
Mehr Rechte für Käufer, mehr Pflichten für Verkäufer: So lässt sich das neue Kaufrecht knapp zusammenfassen. Unternehmen sollten jetzt damit beginnen, sich mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen - denn das Jahr 2021 ist nicht mehr lange. Konkret sind jetzt folgende Aufgaben zu erledigen:
- Übliche Nutzungsdauer der eigenen Produkte ermitteln
- Zusätzliche Kosten für Updates und Gewährleistung bewerten
- Kontakt mit Herstellern und Lieferanten aufnehmen, Verträge anpassen (Aktualisierungspflicht)
- Update-Planung und Kommunikationskonzept erstellen (Informationspflicht)
- Produktbeschreibungen prüfen und ggf. anpassen
- Vertragsmuster an den neuen Sachmangelbegriff anpassen
- AGB auf nachteilige Abweichungen vom neuen Kaufrecht prüfen
- Garantiebedingungen prüfen und ggf. anpassen
- Schulung des Verkaufs- und Servicepersonals planen
- Beschwerde- und Reklamationsmanagement anpassen